Unmittelbarkeit des künstlerischen Tuns:
Das Kunst-Hand-Werk von Gunnar Hansen


„SEHR GUT“ lautet die Aufschrift, die unseren Blick – ob wir es wollen oder nicht – bei der Wahl der Ware im Supermarkt auffängt. Der Kunstmarkt kennt keinen präzisen Warentest und bedingt sich für seine Produkte mit dem diffusen Ausdruck „ein sehr interessanter Künstler“. Um dieser allgemeinen Aussage Überzeugungskraft zu verleihen, wird dem Künstler die Ähnlichkeit mit einer oder anderen Kunstmarktautorität - „wie Beuys“ - zugewiesen.
Im Überblick über die Kunst von Gunnar Hansen möchte ich den Weg der scheinbaren Plausibilität der Etiketten verlassen. Statt dessen schlage ich vor, sein Werk ohne maßgebende kunsthistorische Brille anzuschauen; die taktvolle Distanz zu den Autoritäten, die Hansen in seinem Schaffen pflegt, lädt dazu ein. Zwar schätzt Hansen Joseph Beuys für dessen Intention der Gestaltung gesellschaftlicher Lebensformen. Oder er schöpft Impulse aus den Kunstaktionen eines Daniele Buetti, des schweizerischen Fotografen, der sich einen Namen durch die Kugelschreiberkritzeleien auf den Magazinabbildungen machte. Doch er lehnt jegliche Nachahmung der Kunstformen der Klassiker ab und beharrt auf seiner künstlerischen Individualität.
1995 begann Gunnar Hansen Kunstobjekte zu machen. Damals stieg er aus dem Beruf eines Handwerkers aus, die Neigung zum Handwerklichen blieb jedoch bestehen. Der Künstler nimmt bewusst die einfachsten Farben und Arbeitsmaterialien; Beschaffenheit und Struktur des jeweiligen Werkstoffs bestimmen den Gang des künstlerischen Gedankens mit. Ein Wandel im Bewusstsein ist dabei offensichtlich: Während der Handwerker Hansen mit verschiedenen Stoffen Räume nach dem Geschmack der Auftraggeber gestaltete, wendet sich der Künstler Hansen seinem eigenen künstlerischen „Ich“ zu. Dieses „Ich“ kommt durch einen ästhetisierenden und auch meditativen Umgang mit dem Stoff zur Sprache.
Das Schaffen von Gunnar Hansen ist stets unmittelbar. Direkte Eindrücke oder Ereignisse, die ihn bewegen, verwandelt er in künstlerische Intentionen. Sie werden weniger als Meilensteine seines Innenlebens dargestellt, vielmehr sollen sie vom Betrachter immer wieder miterlebt werden. Bei einem Museumsuferfest im Jahre 1995 schnitzte Hansen eine Krone in einen Baumstamm. Spontan schnitt er ein Angesicht dazu, wobei die Krone darauf sehr tief saß und die Augen bedeckte. Nachdem das Bild fertig war, begriff der Künstler dessen tieferen Sinn: Nicht die Krone, sondern den eigenen Hochmut, der ihn blendete, stellte er hier dar. Diese Begebenheit, die Gunnar Hansen ironisch erarbeitete, sublimierte er in eine künstlerische Idee: Nur die Freude kann eine echte Krone sein. Erfreut und gelassen kreierte er eine Reihe von Werken mit Kronen. Die ironisch deformierte Krone wurde für Hansen zum Symbol der künstlerischen Intention per se.
Hansen praktiziert einen seriellen Arbeitsstil. Nicht nur bessere Vermarktung der Serien gegenüber den einzelnen Werken zieht ihn dabei an. Mit den greifbaren, minimalistischen und gleichzeitig schönen Formen will er das Publikum ansprechen, das von den musealen, großen Formen ermüdet, Werke für „Privatgebrauch“ sucht.

Die Red Stars sind eine Serie von Objektbildern aus Transportsperrholz, die Gunnar Hansen seit 2003 entwickelt. Alle Werke der Serie haben einen roten Stern und dasselbe Format 19,3 auf 19,3 cm gemeinsam, behalten dennoch ihre Einzigartigkeit. In Red Stars classic, dem ersten Teil der Serie, wird die Beziehung zwischen dem Stern und den vorgefundenen industriellen Mustern auf der Holzplatte durchgespielt. Auf diese Weise fügen sich einst zufällige Fragmente zu einem kompositionell durchdachten Kunstwerk zusammen. Gunnar Hansen entdeckt Kunstformen in den brüchigen Zitaten des Industriedesigns und macht diese sichtbar. Unser Auge, das an die totale Ästhetisierung des Alltags gewöhnt ist, lernt dabei, die Schönheit der Schrift und der primitiven Transportzeichen zu sehen.
In den Red Stars Phase II experimentiert Gunnar Hansen mit den Formen „von außen“ weiter. Dazu lädt er verschiedene Künstler ein, an seinem Projekt mitzuarbeiten. Danielle Zimmermann, Alejandro Jimenez, Angelika Tippmann, Fabian Schempp, Freddy Fioravanti, Axel Gallun, Hans Helmut Rupp, Harald Amend, Ise Grimm, Heb, Karen Pullich, Karl J. Höffler, Lisa Morid, Mariola Streim, Martina Czeran, Pia Grambart, Ruth Emmer, Tiemo Schröder und Mireille Jautz sind die Teilnehmer an diesem Projekt. Hansen sieht ein großes Potenzial im Konzept der künstlerischen Zusammenarbeit und ist dabei, mehr Künstler für das Projekt zu gewinnen. Die Zeichen der Industrie- und Transportmarkierung ersetzt Hansen durch die Schablonenschnitte, die die genannten Künstler in ihren Ateliers herstellten. Von der Zufälligkeit und der „Authentizität“ des Transportsperrholzes bleibt kaum eine Spur. Hansen traut sich hier mehr und mehr, die Wirkung der Sterne durch Farbkontraste zu prägen, indem er Formen der Künstler-Kollegen auf farbigen Hintergrund schabloniert. Dieser Gruppe von Red Stars schließen sich die Red Stars Phase II – xtra an, bei denen Schablonenmuster mit Punkten kombiniert werden, sowie die Red Stars Phase II – xtra Blattsilber, für die Hansen Blattsilber als Hintergrundmaterial benutzt.
Der Idee, Formen- und Farbenklang mit der Beschaffenheit der Oberfläche zu konfrontieren, widmet sich der Künstler in der Red Stars Phase III. Schablonenmuster der Kollegen lässt er auf gerosteten Eisenplatten, auf blanken Stahl oder auf mit Zement bedeckten Platten erscheinen.
Das serielle Denken setzt sich in den Red Stars Phase IV fort. Hier liegt der Akzent nicht mehr auf dem Materialmix, sondern auf der Zusammenwirkung unterschiedlicher Medien. In der Phase IV platziert Gunnar Hansen die Sterne vor der Folie verschiedener Motivfotos. Dabei wird sein Bestreben deutlich, eine imaginäre Reise von Red Stars durch die Vielfalt von Kunstformen zu unternehmen, um die Wahrnehmung des Betrachters für Abwechslungssituationen zu schärfen.
Welche Bedeutung im Werk von Gunnar Hansen hat das Transportsperrholz, das als das Trägermaterial für die Red Stars, aber auch für andere Kunstwerke dient? Die Intention ist, Transportsperrholz durch Einbeziehung in das Kunstwerk wieder zu beleben. Revitalisiert kommt es auf den Reiseweg und oft sogar an seinen Herstellungsort zurück: Red Stars sind u. a. in Privatsammlungen in Dänemark, Schweden, Holland, Ägypten, Österreich, Australien, Afghanistan, Schweiz, Deutschland und USA zu finden.
Über die Serie Red Stars hinaus benutzt Gunnar Hansen das Transportsperrholz für seine freiformatigen Objektbilder. Sterne auf Reisen, Variationen zu „Bananarepublic“ – das sind die thematischen Schwerpunkte dieser Gruppe. Hier improvisiert Hansen mit dekorativ wirkenden Mustern, die, in edlen Glanz von Blattsilber eingetaucht, an den integrativen Geist der Pop Art erinnern.
Auf dem Transportsperrholz ist auch eine Serie von expressionistischen Abstraktionen in Blau entstanden, die der Künstler als Blaue Phase oder auch als Blue on Wood bezeichnet. Sie hat eine besondere Stellung im Werk von Hansen. Das abstrakte Arbeiten, das in dieser Phase definitiv in den Vordergrund tritt, wird zu einem Labor, in dem die optischen und haptischen Qualitäten des Materials und die Beschaffenheiten des Blaus untersucht und synthetisiert werden. Das Experiment hat einen meditativen Charakter, der in der Blauen Phase besonders intensiv empfunden wird.
Meditative Eigenschaften lassen sich auch bei den anderen malerischen Werken von Hansen beobachten. „Schattenmann, der im Schatten steht“, „Kerzen im Fenster“, „Titanic“, „Blue Kiss“ sind klassische Bilder auf Leinwand. Die Konturen der Gegenstände, wenn solche überhaupt vorhanden sind, sind hier verschwommen, die Farbübergänge nur angedeutet ausgeführt, die Farbpalette kühl und kontemplativ. Diesen Werken steht eine Gruppe von Bildern auf Leinwand gegenüber, die zu graphischer Schärfe neigen. Betonte Konturen und primäre Farben kennzeichnen den Reptilienzyklus sowie einzelne Werke der Gruppe Weird Thing; die Darstellung wirkt dekorativ und flächenhaft. In diesen Bildern gewinnen Punkte oder kleine Kreise an Bedeutung, die über ihre schmückende Funktion hinaus fragmentarische Brücken bauen, die Raumverhältnisse im Bild suggerieren.
Während die früheren Werke aus Transportsperrholz die Eigenschaften des Rohmaterials betonten, tendiert der Künstler aktuell dazu, das Erscheinungsbild des Holzes zu entfremden und lässt Sterne in highglossy Ausführung erscheinen; Blattgold und Blattsilber werden eingesetzt. Gleichzeitig vermag der Künstler mit Verfallsprozessen zu spielen, wobei die Rostflecken und -muster zu seinen Favoriten gehören. In dieser Technik sind einige Red Stars, aber auch Kronen und Weird Things verfertigt worden.

Die künstlerische Energie von Gunnar Hansen lässt sich durch keine Genregrenzen zügeln. Fotografie und große Installationen gehören neben den Bildobjekten zum festen Bestandteil seines Œuvres. Als Fotograf setzt er auf Spontaneität, Abenteuer und Gefühl, anerkennt keine streng definierten Techniken, arbeitet meist ohne Stativ. Die Themenbreite reicht von Stadt- und Naturlandschaften bis zu Blumenmotiven. Schwarzweiß oder farbig inszeniert Hansen das Motiv nicht. Seine Kamera fängt Realitätsabdrucke ein, und der Künstler experimentiert mit ihnen erst dann, wenn sie zu handgreiflichem Material werden – zum Beispiel Fotos auf Holz. Ja, auch im Fotolaboratorium von Hansen lässt sich das Transportsperrholz verwenden. Hierzu nimmt er Ausschnitte der Fotos, vergrößert und überträgt sie auf Holzplatten. Durch ihre grobe Oberfläche und bräunliche Tönung verleihen die Holzplatten den Bildern die Aura alter Fotos. Von der Aktualität entfremdet erscheinen diese Bilder zeitlos und sogar ikonenhaft.
Lichtausstrahlung und Formenüberschneidungen, Größenvariation und Farbkontraste bilden thematische Schwerpunkte von Space Oddity, einer komplexen Leuchtinstallation. Haben die oben genannten Verfahren der Space Oddity eine eher dekorative Bedeutung, so werden sie im Brunnenprojekt von Gunnar Hansen zu Sinnbildern. Mit diesem Projekt nahm der Künstler am Wettbewerb der Stadt Bad Homburg v. d. H. im Mai 2004 teil. Sein Konzept sieht sowohl rein designerische als auch soziale und integrative Funktion des Brunnens vor. Der runde und flache Beckenboden mit einem Durchmesser von acht Meter besteht aus 14 000 Pflastersteinen. Neun Quellen unterschiedlicher Größe sprudeln um die größte, in die Mitte platzierte Quelle herum. Die Farbe der Geysire soll durch Bodenleuchten variierbar sein. Damit geht Hansen auf die Stadtpolitik ein, denn die Kombination und die Zahl der Quellen stehen für die Partnerschaftsbeziehungen von Bad Homburg mit neun anderen Städten. Vom sozialen Engagement des Künstlers zeugt sein Gedanke, Ehrenbürger der Stadt mit Edelstahlsternen zu würdigen, die in die Granitplatten um den Brunnen herum eingelassen werden. Die ehrenvolle Aufgabe, die Position des jeweiligen Sterns während einer öffentlichen Feier zu bestimmen, wird einem Kind zugeteilt. Dadurch werden Bad Homburger, Erwachsene und Kinder, in das Gesamtkunstwerk, aber auch in das städtische Leben unmittelbar einbezogen. Durch das ständige Anwachsen der Zahl der Sterne gewinnt der Brunnen an innerer Dynamik, die den Platz am Rathaus zusätzlich beleben würde.
Mit seinem umfassenden Brunnenkonzept knüpft Gunnar Hansen an die Tradition der sozialen und gesellschaftlichen Wirkung von Kunst an, die einen ihrer Höhepunkte im Werk von Beuys hatte. Vielleicht stehen wir vor ihrer Erneuerung?

von Ljudmila Belkin, M.A.




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